(Fotos weiter unten im Blog, gleich nach diesem Bericht)
Steigende Arbeitslosigkeit, Teuerungen, Privatisierungen und immer mehr Stimmen, die sich gegen den Kapitalismus erheben, machen es deutlich: so kann es nicht mehr weitergehen! Angesichts der politischen und soziökonomischen Umstände ist es nicht erstaunlich, dass der diesjährige 1. Mai überall auf der Welt mit einer immensen Teilnehmerzahl sowie einer besonders entschlossenen und kämpferischen Stimmung gefeiert wurde.
AktivistInnen unserer Organisation haben am Tag der Arbeit bewusst in verschiedenen Städten demonstriert. Als AnarchistInnen legen wir Wert darauf, bestehende Organisationsstrukturen über Bord zu werfen, dezentral zu arbeiten und dabei die individuelle, freie Initiative Einzelner zu fördern. Organisation sollte dazu dienen, vernetzt und gemeinsam -und somit wirksamer- arbeiten zu können, nicht jedoch sich dem Entscheid der Organisation oder einer internen Minderheit unterzuordnen, einheitlich aufzutreten oder gar zu denken. Je mehr unterschiedliche Denk- und Lebensweisen aufeinandertreffen und sich gegenseitig bereichern anstatt zu behindern, um so mehr können wir uns vorwärts bewegen, verschiedene Aspekte des Lebens erreichen und uns nicht nur politisch, sondern auch auf sozialer und menschlicher Ebene entwickeln. Freie Individuen führen zu einer freien Gesellschaft und eine Kette die aus mehreren starken Gliedern besteht, ist stärker als eine Kette aus vielen schwachen Gliedern, die durch einzelne starke Glieder zusammengehalten wird.
Mit dieser Grundidee nahmen am 1. Mai jede und jeder AktivistIn der Autonome an denjeniger Demonstration teil, die sie/er individuell bevorzugte – teils in Istanbul, teils in Ankara oder in anderen Städten der Türkei, teils als Teil des Revolutionären Bündnisses Basel, teils innerhalb der Vereinigung unabhängiger Ärztinnen & Ärzte in Zürich.
Basel:
In Basel marschierten wir innerhalb des Revolutionären Bündnisses und schlugen ein gemeinsames Transpi auf mit der Villa Rosenau und den Kurdischen Militärdienstverweigerern. Der Aufruf zu einem antikapitalistischen Block in Basel war erfolgreich und so konnte durch die aktive Teilnahme mehrerer Organisationen ein kämpferischer 1. Mai durchgeführt werden. Die Demo war ausgesprochen lebhaft und die Zielsetzung, als Revolutionäres Bündnis zuvorderst zu marschieren, konnte erfolgreich und auf eine friedliche Art und Weise umgesetzt werden. Der Marsch durch die Innenstadt begann am Messeplatz und begann mit dem Abspielen von Aufnahmen aller teilnehmenden Organisationen. Er endete passend mit einer schallenden, gemeinsamen Internationale bzw. Antinationale aus allen Mündern.
Zürich:
Am Zürcher Umzug war eine Teilnehmerzahl von ca. 14‘000 auszumachen – deutlich mehr als letztes Jahr. Die Demonstration verlief laut und kämpferisch und griff eine Vielzahl aktueller Problematiken auf – der 1. Mai verlief nicht nur als ein Tag der Arbeit, sondern als ein Tag von Menschen jeglicher Couleur, die den Kapitalismus und seine systematische Unterdrückung, die Manipulation seiner Medien und seine globalen Raubzüge satt haben: seien es Kinder der Roten Falken, StudentInnen, arbeitslose Jugendliche, sich gegen das Patriarchat stellende Frauen, Pflegepersonal, ÄrztInnen, Bevölkerungen von Ländern, die unter imperialistischen Raubzügen leiden, UmweltaktivistInnen, Vegis, KünstlerInnen und LehrerInnen. Sie alle verliehen dem Widerstand gegen das System eine entschlossene und vielseitige Stimme. Eine jede und ein jeder verteidigte eine individuelle Position und ein spezifisches Anliegen. Ohne die eigene Position aufzugeben, vereinigten sich Tausende von Stimmen aus den unterschiedlichsten Ecken und Richtungen dazu, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. So wünschen wir uns das gesellschaftliche Miteinander von morgen! Eine Nachdemo fand erfolgreich und mit starkem Willen verschiedenster AktivistInnen statt, wobei die enorme polizeiliche, beinahe verzweifelt anmutende Repression deutlich zeigte, dass der Spiess begonnen hat, sich umzukehren. Nebst gewaltigen Mengen an verschleudertem Gummi und Tränengas wurden die Demonstrierenden an der Langstrasse auch noch wiederholt durch eine Gruppe ziviler Faschos attackiert, was den Polis gerade recht kam. Im Zeughausareal waren wir schliesslich mit einem eigenen Stand gegenwärtig und genossen gemeinsam mit den Zürcher AnarchistInnen und der IWW die regen Möglichkeiten eines politischen Austauschs.
Istanbul:
In Istanbul war zum ersten Mal die 1. Mai-Demonstration in Kadiköy (Istanbul) und im letzten Moment sogar auch diejenige in Taksim (Istanbul) bewilligt worden. Aus historischen Gründen (Tötung von Dutzenden Revolutionären am 1. Mai 1977) hat die Demonstration in Taksim jeweils höchste Priorität für revolutionäre AnarchistInnen, KommunistInnen, SozialistInnen und Gewerkschafter. So zogen die meisten legalen Parteien und reformistischen Organisationen dieses Jahr nach Kadiköy, während sich revolutionäre Organisationen und Einzelpersonen nach Taksim begaben. Da ein riesiger Aufmarsch vorhersehbar war, wurde eine Kundgebung in Taksim aus strategischen Gründen (es wurde sogar öffentlich kundgetan, die Situation liesse sich so besser kontrollieren) „erlaubt“, wen auch nur theoretisch: auf den Taksim-Platz wurden nur Gewerkschaften und Parteien gelassen, während revolutionäre anarchistische und linke Organisationen brutal angegriffen und im Betreten des Platzes gewaltsam gehindert wurden. Die Staatsgewalt zog mit Helikoptern, Panzern, Gummischrot und immensen Mengen an Pfeffergas auf. Schwer verprügelt wurde der Demonstrant Öztürk Alatas, der nun eine Klage eingereicht hat. Dank heimlichen Videoaufnahmen von Seiten der Bevölkerung (http://video.milliyet.com.tr/default.asp?prm=0,6317424&kanal=4&id=27015&tarih=2009/05/02&get=02.05.2009) gelangte die Begebenheit an die Öffentlichkeit. Weitere mehrere hundert Menschen wurden ebenfalls verletzt, ohne dass die Gewaltakte publik werden konnten.
Trotz der rohen Gewalt der Bullen, war der revolutionäre Aufmarsch riesig und deutlich grösser als in den Jahren zuvor. Die AktivistInnen liessen ihre Stimmen gegen Staat und Kapitalismus und für eine soziale und gerechte Welt durch nichts und niemand unterdrücken. Immer wieder wurden Gruppen und Einzelpersonen in Seitengassen zurückgedrängt, in die Ecke getrieben und dort entweder brutal verprügelt oder mit Pfeffergas und Gummigeschossen bombardiert. Nichtsdestotrotz drängten die Revolutionäre immer wieder zum Platz und brachten so ihre Entschlossenheit und ihren Zusammenhalt zum Ausdruck. Überwältigend war auch die Solidarisierung der Bevölkerung: sei es das heimliche Filmen aus der eigenen Wohnung heraus (siehe Link zuvor, inkl. Beschimpfung der Polis, leider auf türkisch) oder seien es die Hunderte von Läden, Cafés, Büchereien und Kiosks in den Seitengassen, welche ihre Türen bedingungslos öffneten und uns hinter der Theke versteckten.
Karakök Autonome türkei/schweiz